Es ist sicherlich legitim, dass jedes Unternehmen nur die Besten, also die High Potentials einstellen möchte. Es gibt wohl kaum ein Unternehmen, das sich freiwillig mit dem zweitbesten Bewerber oder der zweitbesten Bewerberin zufriedengibt. Dies gilt ganz besonders für die Recruitingabteilungen der bekannten Unternehmensberatungen und der Führungsnachwuchs-Departments unserer Konzerne.
Doch wer sind die Besten? Und vor allem: Wer sind die Besten für das jeweilige Unternehmen? Wer sind die Besten für das jeweilige Assignment? Und schließlich: Wozu braucht man unbedingt High Potentials?
Eine distanzierte und durchaus kritische Einstellung gegenüber den High Potentials zeigt Hermann Wottawa. Er vergleicht diese Zielgruppe mit den Condottieri, den italienischen Söldnerführern des späten Mittelalters. Zu den bekanntesten Condottieri zählen Francesco Sforza, Andrea Doria, Cesare Borgia und Giovanni de Medici. Sie wechselten durchaus die Seiten für bessere Bezahlung und dies nicht nur vor, sondern sogar mitten in der Schlacht. Sie waren aber dennoch enorm begehrt und in den Augen der jeweiligen Fürsten unverzichtbar. Aufgrund ihres Einflusses, ihrer Macht und sicherlich auch aufgrund ihres Könnens begannen sie, ihren Arbeitgebern die Bedingungen zu diktieren.
Soweit soll hier nicht gegangen werden, aber es ist kein Geheimnis, dass manche High Potentials Akzeptanzprobleme bei schwächeren Kollegen und eine “spezielle” Persönlichkeit haben. Sie kommen sehr häufig arrogant und überheblich rüber. Das ist allermeist auch der Grund dafür, dass es ihnen nicht gelingt, die notwendige Glaub- und Vertrauenswürdigkeit bei Mitarbeitern und Führungskräften zu schaffen. Dafür benötigen sie eine besondere Führung, um voll motiviert zu sein. Vor allem wechseln sie aber schnell zum Konkurrenten, wenn dieser ihnen ein besseres finanzielles Angebot macht.
Es gibt also noch eine andere Seite, die bei High Potentials zu beachten ist. Daher stellt sich vielerorts die Frage: Was ist besser für das Unternehmen? Ein loyaler, begeisterter Mitarbeiter mit gutem Sachverstand oder ein High Potential, der ob seiner geringen emotionalen Bindung ständig mit den Hufen scharrt und dem das nächste attraktive Angebot eines Headhunters herzlich willkommen ist.
Vielleicht ist für die eine oder andere Stelle (besser: Assignment) ein Kandidat besser geeignet, der keine „Eins vor dem Komma“ hat. Natürlich sind (Abschluss-)Noten nicht unwichtig, sie aber als erstes und häufig auch als einziges Zulassungskriterium zum persönlichen Vorstellungsgespräch zu missbrauchen, ist kurzsichtig und wenig dienlich, um die richtigen Kandidaten für den ausgeschriebenen Job zu bekommen. Sportliche Bestleistungen, Masterabschlüsse in unterschiedlichen Studiengängen oder ein selbstfinanziertes Studium haben häufig mehr Aussagekraft. Oder auch ein Studium über den zweiten Bildungsweg oder berufsbegleitend, ein Engagement als Schul- oder Studierendensprecher, Praktika oder Auslandsaufenthalte, die allesamt vielleicht zu einer etwas schlechteren Durchschnittsnote, aber auch zur Entwicklung der individuellen Persönlichkeit beigetragen haben, sollten den Unternehmen doch mindestens genau so viel Wert sein, wie die Noten mit der „Eins vor dem Komma“. Persönlichkeit kann man nur bedingt lernen, Sprachen oder Mathematik sehr wohl.
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