Warum viele Unternehmen auf agile Methoden nicht wirklich vorbereitet sind

Vor einigen Jahren noch von Experten belächelt, sind agile Methoden und Tools heutzutage nicht nur in aller Munde, sondern auch vielfach im Einsatz. Agilität ist das Schlagwort, wenn es um die Antwort auf ein Umfeld zunehmender Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (englisch „VUCA) geht. Allerdings zeigen Studien und Befragungen noch kein einheitliches Bild zur Durchschlagskraft und zum Erfolgsbeitrag agiler Methoden.

Zwar geben 73 Prozent von über 700 befragten Unternehmen in einer Studie der Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) an, dass mit agilen Methoden Ergebnis- und Effizienzverbesserungen gegenüber „klassischen Methoden“ erzielt werden. Gleichzeitig gibt derselbe Teilnehmerkreis aber an, dass eine durchgängige Nutzung agiler Methoden („nach Lehrbuch“) eher die Ausnahme als die Regel ist. Lediglich 20 Prozent der teilnehmenden Unternehmen arbeiten durchgängig agil. Die vorherrschende Einsatzform ist hybrid (37 Prozent), also sowohl agil als auch klassisch. Und: Eine Umfrage der Unternehmensberatung Staufen unter 650 Unternehmen kommt zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der befragten Unternehmen Veränderungen in der Regel von oben vorgeben und sich „gefangen fühlen in hierarchischen Strukturen, in einer verharrenden Unternehmensphilosophie und in einer schwachen Erneuerungskraft von innen heraus“. Alles in allem also keine guten Voraussetzungen für die Implementierung einer agilen Organisation.

Die Frage muss daher erlaubt sein, ob die Mehrzahl der deutschen Unternehmen angesichts solcher Umfragewerte überhaupt in der Lage ist, agile Methoden zur Ergebnis- und Effizienzverbesserungen einzusetzen.

Eine der größten Hürden bildet die Führungs- und Leistungskultur: Heute setzen immer noch gut zwei Drittel der befragten Betriebe auf Zielvereinbarungen und Vergütungssysteme, die vorwiegend klassisch KPI-basiert sind. Und in gut der Hälfte der Unternehmen dominiert immer noch das traditionelle Bild der Führungskraft als Chef.

In der agilen Organisation wird die Führungsrolle aber ganz anders gesehen. Wesentliche Elemente der Führung übernehmen selbstorganisierte Teams. Damit liegt einer Organisation, in der praktisch jeder Führung übernimmt, eine völlig andere Führungshaltung zugrunde: Mitarbeitern wird grundsätzlich vertraut. Agile Organisationsmodelle entsprechen in ihrer ausgeprägten Form dem kooperativen Führungsstil. (Anmerkung: Allerdings sollte die Passung von Führungsstil und Organisationsform im Kontext neuer Zusammenarbeitsmodelle immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Denn es gibt es einen Punkt, an dem der optimale Grad der Mitbestimmung für die jeweilige Organisation erreicht ist. Wird die Organisation über diesen Punkt hinaus demokratisiert, mindern negative Effekte den Erfolg.)

Voraussetzung für Agilität ist in jedem Fall eine Personalentwicklung, die auf sämtliche Rankings ihrer Mitarbeiter verzichtet. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die vielen Year-End-Reviews, die in aller Regel mit einer Kalibrierung der Mitarbeiter (also einem Vergleich bzw. Ranking der Kollegen einer Grade-Stufe) verbunden sind, obsolet werden.

Schulnoten für Mitarbeiter sind nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen ist es der kontinuierliche Dialog zwischen Führungskräften und Mitarbeitern und damit der permanente Austausch zu den vereinbarten Zielen. Das führt zu einer Entschlackung von liebgewonnenen, organisationsweiten Prozessen, die aus einem Vollständigkeits- und Kontrollwahn einst installiert wurden, aber einer Vertrauens- und Führungskultur diametral entgegenstehen. Das kommt einem Paradigmenwechsel in der Personalentwicklung gleich. Und genau an dieser Stelle müssen Unternehmen ansetzen, um die Vorteile agiler Methoden und Tools wie Scrum, Kanban oder Design Thinking nutzen zu können.

Das dazu erforderliche Umdenken ist sicherlich für jüngere und kleinere Betriebe leichter. Je größer die Firma, desto größer die Verunsicherung. Wo größere Unternehmen an ihre Grenzen stoßen und mit den Eigenschaften und Ansichten der Digital Natives (wie z.B. das permanente Hinterfragen der traditionellen Praxis) nicht umgehen können, haben es jüngere Firmen deutlich leichter. Besonders Start-ups, die häufig (noch) keinerlei Hierarchien kennen, sind von einer Kultur des Experimentierens geprägt, in der neue Produkte als Prototypen auf den Weg gebracht werden. Die Möglichkeit des Scheiterns wird jederzeit und jedem Mitarbeiter eingeräumt. Fehler werden als Chance angesehen, um sich weiterzuentwickeln.

Das alles ist aber nur möglich, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen und Voraussetzung gegeben sind. Dazu zählen vor allem Wertschätzung, Vertrauen, Sinnhaftigkeit der Aufgaben, Möglichkeit zur Mitwirkung, direktes Feedback und ein positiver Umgang mit Fehlern. Agile Organisationen bringen auf dieser Basis wirklich erstaunliche Managementpraktiken hervor. Die Firmen e.Go Mobile AG bzw. StreetScooter GmbH sind Beispiel dafür, wie mit agilen Methoden Entwicklungsergebnisse erzielt werden, die zukunftsweisend sind.

Fazit: Wenn also Agilität eine der Antworten auf die vielfältigen Anforderungen der VUCA-Welt ist, dann muss sich vor allem die Führungs- und Leistungskultur vieler unserer Unternehmen nachhaltig ändern.

Vertiefende Lektüre:

2 Kommentare

  1. Nicola Madjno (über LinkedIn) Sehr guter Beitrag! Es ist oft viel leichter über agile Methoden zu sprechen, als den mutigen Sprung zu wagen und sie tatsächlich zu implementieren. Einen Paradigmenwechsel anzupacken macht keine Freunde, dafür braucht es Führungskräfte und Personalentwickler, die bereit sind, mehr Ungewissheit zu wagen.

    Walter Pramhas (über LinkedIn) KMU können schneller sein, in der Praxis dennoch oft in Hierarchie/Patriarchat/Anhaftungen überholter Organisations- bzw. Verhaltensmuster verharrend. Aus meiner Finanzierungspraxis heraus: Als erste Maßnahme wirkt oft die raschestmöglich gewinnwirksame Projektumsetzung (rasche Erfolgssichtbarkeit). Das erzeugt gute Emotion/Zuversicht/Vertrauen. Wer es dann auch noch schafft dranzubleiben, „Sparringprozesse“ implementiert und strategisch an der nachhaltigen Erfolgssicherung weiterarbeitet, das Verstärken neuer, innovativer Erfolgsmuster mit „maßvollem Scheitern dürfen“ favorisiert, ist auf gutem Weg. Danke für diesen Artikel, Bewusstseinsschärfung par excellence.

    Martina Baehr (über LinkedIn) Umdenken heißt wirklich umdenken – sprich sich mit seinen Denkmustern/-Gewohnheiten/Einstellung und vor allem den daraus resultierenden Wirkungen beschäftigen. All unsere Gedanken und seien sie auch unbewusst erzeugen unsere Gefühle und die bestimmen im wesentlichen all unsere Handlungen. Deshalb bestimmten solche eigentlich überkommenen Programme immer noch unser Business: Statusdenken, Amtsautoriät, Angst Fehler zu machen, Schuldzuweisungen, Manipulation usw.. Es reicht nicht neue Methoden auszuprobieren, wir müssen uns mit uns selbst auseinandersetzen und erkennen wie wir alle dazu beitragen. Dann können wir wirklich wählen indem wir ein ganz neues Bewusstsein entwickeln was zu den gewünschten Ergebnissen passt. Meist schrauben wir nur an den Wirkungen herum, anstatt an den Ursachen.

    Daniel Meyer (über LinkedIn) Der Wandel zum agilen Mindset fängt bereits bei der Unternehmenskultur an….

    Bernhard Krick (über Linkedin) sehr guter Beitrag!

    Frank Edelkraut (über LinkedIn) Die agile Transformation ist ein komplexeres Vorhaben und alleine in HR sind etliche Aspekte relevant. Ich habe mal versucht, diese darzustellen und hier publiziert: https://de.slideshare.net/fredel00/agilehr-how-agile-impacts-the-hr-function

    Als Antwort auf Frank Edelkraut von Prof. Dr. Dirk Lippold.
    Sehr schön und notwendig! Aber sprechen Sie bitte nicht von Management 4.0, denn was ist Management 1.0, 2.0 und 3.0. Der „4.0-Wahn“ sollte langsam eingedämmt werden

    Javier Baiges (über LinkedIn) ich spreche ich übrigens von management 0.3 (weil sehr viels schon bekannt und alt ist )
    https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:6362587074935156736
    und ja vieles ist hype wie immer muss man sich das rausnehmen was passt – eine anforderung an unternehmen welche selten auch so erfüllt wird…

    petra boujung (über LindeIn) Ein Mut machender Artikel für jemanden, der nur von Agilität träumt, sondern diese vorlebt. Aber wenn man Mut zur Agilität hat, explodiert die Belohnung beispielsweise in Form von Quotenbrechen, Erzielung hervorragender Prüfungsergebnisse. Doch noch mehr: wer es vorlebt, bekommt so viel zurück, dass man selber besser wird. In vielen Jahren haben mir das viele meiner Kunden gezeigt, denen ich heute noch dankbar bin auf dem Weg meiner persönlichen Entwicklung.

    Mike Löring (über LinkedIn) Gut geschrieben, viele Grundvoraussetzungen für erfolgreiches agiles Arbeiten müssen in bestehenden Organisationen oft erst durch umfangreiche Veränderung geschaffen werden. Allerdings sind KPIs und generell (gutes) Performance Management weder ein Muster alter Organisationen, noch ein Widerspruch zu agilen Arbeitsweisen. Auch hier sind Ergebnisse wichtig und diese müssen quantifizierbar sein. Der Umgang damit lässt allerdings oft noch zu Wünschen übrig

    Christian Köhler (über LinkedIN) SUPER…besonders der folgende Satz finde ich sehr treffend: „Wo größere Unternehmen an ihre Grenzen stoßen und mit den Eigenschaften und Ansichten der Digital Natives (wie z.B. das permanente Hinterfragen der traditionellen Praxis) nicht umgehen können, haben es jüngere Firmen deutlich leichter.“

  2. Ein sehr treffender Artikel. Nach meiner Erfahrung löst genau diese Unsicherheit in der Führungs- und Leistungskultur Irrationen in (neuen) agilen Teams aus, da widersprüchliche Signale gesendet werden.

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