Überforderte Unternehmensführung – Ist das Modell der „Digitalen Führung“ die Lösung?

Wenn unsere heutige Unternehmensführung mit der Digitalen Transformation überfordert ist, wie sieht dann richtige Führung aus? Angesprochen ist das Modell der „Digitalen Führung“. Doch gibt es Digitale Führung überhaupt? Und wenn ja, wie unterscheidet sie sich von herkömmlicher Führung? Was sind die ersten Schritte in die neue Richtung?

Nein, es gibt keine „digitale Führung“ (und sollte es auch nie geben). Gemeint ist vielmehr eine „digitale Führungskompetenz“. Hinter dem Begriff „Kompetenz“ steht die Frage, ob eine Person die Fähigkeit besitzt, selbstorganisiert zu handeln. Kompetenzen umfassen die Gesamtheit der Erfahrungen, Handlungsantriebe, Werte und Ideale einer Person oder einer Community. In der Kompetenzforschung haben sich nach Erpenbeck/Heyse vier Schlüsselkompetenzgruppen herausgebildet:

  • Personale Kompetenzen (z.B. Loyalität, Glaubwürdigkeit, Eigenverantwortung)
  • Aktivitätsbezogene Kompetenzen (z.B. Tatkraft, Entscheidungsfähigkeit, Initiative)
  • Fachlich-methodische Kompetenzen (z.B. Fachwissen, Planungsverhalten, Marktkenntnisse)
  • Sozial-kommunikative Kompetenzen (z.B. Kommunikations-, Integrations-, Teamfähigkeit)

Nach dieser Kompetenzarchitektur ist die Führungskompetenz keinem der Schlüsselkompetenzgruppen direkt bzw. ausschließlich zuzuordnen. Führungskompetenz ist also keine Schlüs­­sel­kompetenz, sondern vielmehr eine Querschnittskompetenz. Führungskompetenz wird am häufigsten mit den Schlüsselkompetenzen

  • Kommunikationsfähigkeit,
  • Entscheidungsfähigkeit und
  • Teamfähigkeit

in Verbindung gebracht. Interessanterweise lag bislang das Augenmerk bei den Führungstrainings allerdings auf den Methoden und Fachkompetenzen. Doch das ist alles – wenn man so will – „Old School“.

Geht man jetzt von der (herkömmlichen) Führungskompetenz zur digitalen Führungskompetenz über, so kommen ganz offensichtlich zwei Kompetenzen hinzu, die in der Kompetenzarchitektur so nicht zu finden und daher ebenfalls als Querschnittskompetenzen zu bezeichnen sind: die Medienkompetenz und die interkulturelle Kompetenz. Medienkompetenz wird zwar nicht unbedingt von einer Führungskraft erwartet, der sichere Umgang mit sozialen Medien wird aber immer wieder als entscheidender Mangel aktueller Führungskräfte angesehen. Als solch ein Mangel gilt auch die interkulturelle Kompetenz, denn in der Praxis nehmen Führungskräfte meist nur dann an interkulturellen Trainings teil, wenn sie eine längere Zeit im Ausland verbringen werden. Auf der Grundlage dieser beiden (zusätzlichen) Kompetenzen müssen für die konkreten Führungsaufgaben die verschiedenen Teil- und Schlüsselkompetenzen ermittelt, definiert und gewichtet werden.

Ziel dieser Neuformierung muss es sein, die Führungskompetenz dahingehend zu entwickeln, dass mit Begeisterung und Offenheit geführt wird. Begeisterung deshalb, weil selbst begeistert sein und andere begeistern können, zwei der wichtigsten elementaren Führungseigenschaften sind. Begeisterung vor allem auch deshalb, weil die Generation Z (Geburtsjahrgänge ab 1995) in der Führung durch Begeisterung einen ganz wichtigen Schlüssel für oder gegen ein Unternehmen als Arbeitgeber sieht. Offenheit deshalb, weil in einer sich ständig ändernden Umwelt eine permanente Lern- und Veränderungsoffenheit essentiell ist. Offenheit aber auch deshalb, weil organisationale Offenheit und damit Vertrauen die Währung im digitalen Zeitalter und in der digitalen Führungskultur ist. So wird das IT- und Beratungsunternehmen Accenture die Personalentwicklung komplett umstellen und auf sämtliche Vergleiche mit Kollegen künftig verzichten. Der Grund: Die jährlichen Gespräche seien mit viel Aufwand, aber wenig Ertrag verbunden. In einem Interview mit der Washington Post erklärte Accenture-CEO Pierre Nanterme: „Manager müssen die richtige Person für die richtige Stelle auswählen und sie mit ausreichend Freiraum ausstatten. Die Kunst guter Führung besteht nicht darin, Angestellte ständig miteinander zu vergleichen“ (Zeit-Online 2015).

Das bedeutet in der Konsequenz, dass die vielen Year-End-Reviews, die in aller Regel mit einer Kalibrierung der Mitarbeiter verbunden sind, obsolet werden. Das führt zu einer Entschlackung von liebgewonnenen, organisationsweiten Prozessen, die aus einem Vollständigkeits- und Kontrollwahn einst installiert wurden, aber einer Vertrauens- und Führungskultur diametral entgegenstehen. Das kommt einem Paradigmenwechsel in der Personalentwicklung gleich. Die digitale Transformation ist also ein Leadership- und ein Kultur-Thema. Jede Arbeitskultur braucht ihren eigenen Zugang zu den jeweils passenden Kommunikationstechnologien. Jede Kultur tickt anders, verarbeitet ihre Informations- und Kommunikationsflüsse unterschiedlich. Hier besteht zum Teil ein erheblicher Handlungsbedarf, denn Kultur wird nicht verordnet, sondern muss (vor-)gelebt werden. Letztlich geht es um die Frage, wie es Führungskräfte schaffen können, „dass die menschliche Lebendigkeit und Intelligenz in ihrer Organisation aktiviert oder erhalten bleibt und dass nicht das Regime der Prozesse, Strukturen und Technologien jegliche Unberechenbarkeit, Unvorhersehbarkeit, Spontaneität und damit Kreativität der menschlichen Natur erstickt.“ (Ciesielski/Schutz).

Ebenso obsolet ist das falsche Konstrukt des Talentmanagement, mit dem heute immer noch standardisierte Führungsklone als künftige Vorgesetzte produziert werden sollen. Den Unternehmen ist im Hinblick auf die digitale Transformation vielmehr zu raten, Führungskräfte auszuwählen bzw. entsprechende Personalentwicklungsangebote (Beziehungstraining) anzubieten. Denn im Kern geht es bei der digitalen Führung um Beziehungsarbeit, d.h. um wertebasierte Beziehungen, die aufgebaut, gepflegt und gegebenenfalls auch professionell beendet werden müssen. Allerdings wird das Konzept der Führungskräfteauswahl nur dann funktionieren, wenn ausreichend kompetente Führungskräfte zur Verfügung stehen. Da dies aber in aller Regel nicht der Fall ist, müssen individuelle Talententfaltungsformate erarbeitet werden, um die gewünschten Kompetenzen in soziologisch fassbaren Konfliktsituationen unter Managementanforderungen mit entsprechender Selbstreflexion zu entwickeln.

Quellen:

Ciesielski/Schutz: Digitale Führung. Wie die neuen Technologien unsere Zusammenarbeit wertvoller machen, Wiesbaden 2016.

Zeit-Online 27.08.2015: So geht gute Führung

Lippold: Die Personalmarketing-Gleichung. Einführung in das wert- und prozessorientierte Personalmanagement, 2. Aufl., München 2014.

 

 

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