HR am Scheideweg: Kriegt das Personalmanagement noch die Kurve (oder ist der Zug bereits abgefahren)?

Eigentlich gehört die Profession des Personalmanagers zu den attraktivsten Jobs überhaupt: Arbeit mit und für Menschen, anspruchsvoll, kommunikativ, verantwortungsvoll und manchmal strategisch. Attraktiv ja, aber leider vielfach von gestern. Warum? Weil das Personalmanagement auf dem besten Wege ist, die Zukunft zu verschlafen.

Dies ist jedenfalls der Eindruck, den man bekommen muss, wenn man sieht, wie die Zunft der Personaler die wichtigsten Themen im HR-Umfeld sieht und auf diese reagiert. Wohlgemerkt, es handelt sich um repräsentative HR-Trendstudien namhafter Firmen und Institute, die Personalentscheider im deutschsprachigen Raum nach ihren Prioritäten gefragt haben. Und alle Studien zeigen nahezu das gleiche Bild: Die drei Top-Themen mit höchster Aktualität und Priorität sind:

  • Führungskräfteentwicklung
  • Talentmanagement bzw. -suche
  • Organisationsentwicklung bzw. Change Management.

Führungskräfteentwicklung und Talentmanagement zeigen in die gleiche Richtung und werden teilweise auch synonym verwendet. Und in der Tat, in diesem HR-Aktionsfeld ist der Druck auf das Personalmanagement am größten und daher steht es wohl auch ganz oben auf der Agenda der Top-Themen der Personaler. Die Sorge um die Qualität des Führungspersonals in unseren Unternehmen ist real! Die Frage ist nur, wie man mit solch einem Themenfeld umgeht, denn bei der Führungskräfteentwicklung sollte das falsche Konstrukt des Talentmanagement längst durch individuelle Talententfaltungsformate ersetzt werden. Es kommt nicht darauf an, standardisierte Führungsklone als Vorgesetzte vom Fließband zu produzieren. Vielmehr ist dem Personalmanagement im Hinblick auf die digitale Transformation zu raten, Führungskräfte individuell auszuwählen bzw. entsprechende Personalentwicklungsangebote (Beziehungstraining) anzubieten. Denn im Kern geht es um Beziehungsarbeit, d.h. um wertebasierte Beziehungen, die aufgebaut, gepflegt und gegebenenfalls auch professionell beendet werden müssen. Allerdings wird das Konzept der Führungskräfteauswahl nur dann funktionieren, wenn ausreichend kompetente Führungskräfte zur Verfügung stehen. Da dies aber in aller Regel nicht der Fall ist, müssen individuelle Talententfaltungsformate erarbeitet werden, um die gewünschten Kompetenzen in soziologisch fassbaren Konfliktsituationen unter Managementanforderungen mit entsprechender Selbstreflexion zu entwickeln.

Kommen wir zurück zu den verschiedenen HR-Trends. Die zweite Gruppe der Fokusthemen sind:

  • Performance Management
  • Employer Branding
  • Rekrutierung
  • HR-Technologie
  • Besetzung von Schlüsselpositionen

Diese Themen, die nicht mehr ganz so „heiß“ sind,  zählen schon länger zu den wichtigen Themen und werden das HR-Management auch in Zukunft stark beschäftigen. Sie sind quasi als „Dauerbrenner“ einzustufen. Dahinter kommt eine weitere Gruppe mit folgenden Themen:

  • Anreiz- und Vergütungssysteme (Benefits & Compensation)
  • Personalmarketing
  • Nachfolgemanagement
  • Kompetenz- und Skill-Management
  • HR als Businesspartner.

Das Personalmanagement hat in diesen Bereichen seine Hausaufgaben entweder bereits erledigt oder aufgrund aktuellerer Themen auf der Prioritätenliste nach hinten verschoben. Es deutet allerdings einiges eher auf einen Aufschub als auf eine Abarbeitung hin. So zeigen Befragungen zur Selbsteinschätzung des Personalbereichs als Business Partner, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen diesen Anspruch als (noch) nicht erfüllt ansieht.

Schließlich soll noch eine letzte Themengruppe angesprochen werden, die – vielleicht etwas überraschend – ganz unten auf der Themenliste der Personaler steht:

  • Demografischer Wandel
  • Diversity Management
  • Work-Life-Balance

Eigentlich müssten diese Themen, die in aller Regel eine hohe Außenwirkung haben, deutlich höher auf der Prioritätenliste stehen. Dennoch scheint hier der Leidensdruck (noch) nicht hoch genug zu sein.

Übergroß dagegen müsste der Leidensdruck für die Personaler eigentlich beim wirklich brennenden Thema „HR und digitale Transformation“ sein. Allerdings wird dies vom Personalmanagement – aus welchen Gründen auch immer – nicht so empfunden. Und trotzdem: Auf allen Ebenen greifen digitale Technologien althergebrachte Routinen, Prozesse und Mechanismen an. Geschäftsmodelle werden verändert und auch HR verändert sich. Digitalisierung ist kein allein stehender Trend. Mindestens folgende HR-Agenda-Themen sind davon betroffen:

  • Digitale Führung
  • Social Media & Digitalisierung
  • HR Big Data
  • Digitale Transformation und Unternehmenskultur

Die digitale Transformation, die sich in vielen Unternehmen bereits vollzieht, hat letztlich die Unterstützung des Menschen im Fokus. Allerdings wird sie von denjenigen, die traditionell in den Unternehmen für Menschen und deren Beziehungen untereinander zuständig sind, also dem Personalmanagement, nicht großartig unterstützt – jedenfalls nicht als Motor, nicht als Treiber. Und genau diese Konzept- und Strategielosigkeit macht HR so angreifbar. Es fehlt ganz offensichtlich die Aufbruchstimmung, die Lust zur Veränderung.

Moderne Personalbereiche erfinden sich selbst neu oder – was häufiger der Fall ist – sie werden von außen neu erfunden. Nur die inhaltliche Diskussion und Reflexion über den zukünftigen Wertbeitrag des Personalsektors führt zu einem Wandel des Selbstverständnisses – hoffentlich vom Verwalter zum Gestalter.

(Zusätzliche Informationen finden Sie in „Die Personalmarketing-Gleichung. Einführung in das wert- und prozessorientierte Personalmanagement“, 2. Aufl., De Gruyter Oldenbourg bei  https://www.degruyter.com/view/product/428456?format=G&rskey=QFLLol&result=2  )

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