Prost Neujahr 4.0 oder kann man Ironie nur analog und nicht digital erkennen?

Anscheinend ja, denn als ich meine Leser mit dem ironischen Beitrag Reden wir mal über Weihnachten 4.0“ in die Weihnachtsferien und den Jahreswechsel entließ, ging ich fest davon aus, dass meine Bemühungen zur Eindämmung des 4.0-Wahns Früchte tragen würden. Doch weit gefehlt. Die Reaktionen zeigten mir, dass die Ironie des Beitrags gar nicht wahrgenommen worden ist. Im Gegenteil, die Kommentare signalisierten, dass die Leserschaft ein Weihnachten 4.0 offensichtlich ebenso leidenschaftslos akzeptiert, wie die Arbeit 4.0, den Mittelstand 4.0 oder die Verwaltung 4.0.

Daher diesmal ein neuer Versuch:

Das (übrigens ausschließlich deutsche) Phänomen Industrie 4.0 kann man ja noch irgendwie nachvollziehen. Schließlich sind es ja die vier industriellen Revolutionen, an denen sich die Ziffer „Vier“ orientiert: Die Dampfmaschine brachte die erste industrielle Revolution. Elektrizität und Fließband läuteten die zweite ein und die Automatisierung durch IT und Elektronik löste die dritte industrielle Revolution aus. Als Fortsetzung dieser Entwicklung wurde in Deutschland – aber eben auch nur in Deutschland – mit der kommenden Verschmelzung von Industrie und Informationstechnik der Begriff Industrie 4.0 als vierte industrielle Revolution eingeführt.

Doch müssen deshalb viele Bereiche, die von dieser Verschmelzung gar nicht oder nur indirekt betroffen sind und keine drei Revolutionen hinter sich haben, ebenfalls zur „Vier-Punkt-Null“-Familie gezählt werden? Nehmen wir zum Beispiel den Begriff Arbeit 4.0, der sogar in Regierungskreisen als neueste und modernste Ausprägung der Tätigkeit unserer arbeitenden Bevölkerung angesehen wird. Doch was ist eigentlich Arbeit 4.0? Und noch sinniger: Was ist dann Arbeit 1.0, 2.0 und 3.0? Folgende halbamtliche Definition soll Licht ins Dunkel bringen: Arbeit 1.0 steht für die Anfänge der Industriegesellschaft, 2.0 für den Beginn der Massenproduktion und Arbeit 3.0 für die zu zunehmende Automatisierung und Globalisierung ab Mitte des 20. Jahrhunderts. Na ja, und Arbeit 4.0 steht dann für alles, was mit Digitalisierung, Flexibilisierung und Vernetzung der Arbeit im Umfeld der neuen Produktionswelten der Industrie 4.0 zu tun hat. Also alle Nummerierungen in enger Anlehnung an den industriellen Wertschöpfungskanon.

Das halten viele aber für zu kurz gesprungen, denn der Wandel in der Arbeitswelt ist nun mal keine sprungfixe Entwicklung und schon gar nicht so eng und ausschließlich mit der Industrie verbunden. Im Gegenteil, lediglich jeder vierte Erwerbstätige ist im produzierenden Bereich (also in der Industrie) tätig – 75 Prozent dagegen im Dienstleistungsbereich.

Wenn man sich zudem die verschiedenen Dimensionen des Begriffs „Arbeit“ anschaut, wie beispielsweise Arbeitsformen, Arbeitsorganisation, Arbeitsgestaltung, Arbeitsverständnis oder Arbeitsentlohnung, so kann man eher von einer evolutionären bzw. kontinuierlichen Entwicklung sprechen. Dann also schon eher Arbeit 17.0 oder – etwas Kleinteiliger – Arbeit 4.6 oder Arbeit 4.7.

Doch was soll dieser Nummerierungs-Hype überhaupt? Warum Verwaltung 4.0, Mittelstand 4.0, Führung 4.0, Restrukturierung 4.0, Consulting 4.0, Deutschland 4.0 und so weiter? Reicht Industrie 4.0 nicht aus? Kann sich das Label „Industrie 4.0“ nicht viel leichter zu einer Art „Marke“ entwickelt, wenn es bei der Alleinstellung bleibt und nicht durch die übrigen „Vier-Punkt-Null“-Versuche verwässert wird?

Hier noch einmal zu „Weihnachten 4.0“ auf LinkedIn.

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