Oder genauer: Warum hat das Marketing eigentlich so abgewirtschaftet und warum steht der Vertrieb so glänzend da? Warum ist das Marketing in den allermeisten Fällen lediglich eine bessere Werbeabteilung und warum ist der Vertriebsbereich regelmäßig im Vorstand oder in der Geschäftsführung vertreten und das Marketing nur ganz selten? Wohlgemerkt, wir sind hier im B2B-Geschäft und da hat das Marketing einen ganz anderen Stellenwert als im Konsumgüterbereich. Doch warum ist das so?
Nehmen wir zur Erklärung zunächst einmal die Theorie, also die Lehrbücher zur Hand. Danach wird das Marketing in aller Regel durch die Instrumente Produktpolitik, Preispolitik, Kommunikationspolitik und Vertriebspolitik erklärt. Die Gesamtheit dieser Instrumente wird auch als Marketing-Mix bezeichnet. Im Angelsächsischen sind es analog dazu die vier P’s: Product, Price, Promotion und Place. Nach dieser vorherrschenden Lehrmeinung ist somit der Vertrieb Teil des Marketings. Im Konsumgüterbereich, wo die Kommunikationskosten (also vorwiegend Werbung) bis zu 30 Prozent der Gesamtkosten eines Unternehmens ausmachen können und der Vertrieb (besser die Distribution) zumeist vom Handel wahrgenommen wird, hat man sich dieser Lehrmeinung auch sehr schnell angeschlossen.
Anders dagegen im B2B-Geschäft: Die instrumentelle Perspektive (also die vier P’s) hat nämlich den Nachteil, dass es sich hierbei um eine statische Sicht auf die Marketingaufgaben handelt. Entscheidend für eine praxisorientierte Umsetzung aller Marketing-bezogenen Aktivitäten ist aber eine prozessorientierte, also eine dynamische Perspektive. Sie beschreibt im Rahmen der Porter‘schen Wertschöpfungskette die Aktivitäten des Kernprozesses „Marketing/Vertrieb“ mit den Prozessphasen Segmentierung, Positionierung, Kommunikation, Distribution, Akquisition und Betreuung (auch als Marketing-Gleichung bezeichnet).
Aus Abbildung 1, die alle sechs Prozessphasen im Zusammenhang zeigt, wird deutlich, welche Teile vom Marketingmanagement und welche Phasen vom Vertriebsmanagement dominiert werden. Und genau diese Aufteilung gilt auch heute noch.
Abbildung 1: Aufgabenzuordnungen von Marketing und Vertrieb
Versucht man eine Relevanzabwägung, so kann durchaus konstatiert werden, dass im B2C-Bereich die ersten drei Phasen dominieren, während im Geschäftskundenbereich (B2B) die „Musik“ eher in den Phasen vier bis sechs und hier insbesondere in der Phase der (persönlichen) Akquisition spielt. Das liegt vornehmlich daran, dass in B2B-Märkten Einkaufsentscheidungen deutlich komplexer und von längerer Dauer sind und der direkte Vertrieb vorherrscht.
In dieser wichtigen Phase steht der Akquisitionszyklus (engl. Sales Cycle) im Mittelpunkt. Er befasst sich mit den vertrieblichen Aktivitäten innerhalb eines Zeitraumes, der sich vom Erstkontakt mit einem Interessenten bzw. Kunden bis zum Auftragseingang oder der Ablehnung eines Angebotes erstreckt. Der Akquisitionszyklus ist kein standardisierter Prozess, sondern kann von Branche zu Branche, von Unternehmen zu Unternehmen und von Kunde zu Kunde unterschiedlich sein. Die Verschiedenheit betrifft die Inhalte, aber auch die Dauer. So ist ein relativ langer Akquisitionszyklus das besondere Merkmal von stark erklärungs- und unterstützungsbedürftigen Produkten. Neben Entscheidungstragweite und Risiko dürfte die Länge des Akquisitionszyklus auch von der Anzahl der am Entscheidungsprozess beteiligten Personen (bzw. von der Größe des Buying Center) abhängen. Im Geschäftskundenbereich und bei Systemprodukten kann der Sales Cycle durchaus mehrere Monate oder auch ein Jahr dauern.
Abbildung 2: Begrifflichkeiten und Prozesse im Vertriebsmanagement
Die beiden Prozesse, die den Akquisitionszyklus bestimmen, sind der Leadmanagement-Prozess sowie der eigentliche Akquisitionsprozess, wobei die Grenze zwischen dem Leadmanagement und den nachfolgenden Sales-Prozessen, die zuweilen auch als Opportunity Management bezeichnet werden, nicht klar zu ziehen ist. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Begrifflichkeiten und Prozesse im Vertriebsmanagement.
Die hohe Dominanz der vertriebsseitigen Aktivitäten wäre sicherlich alleine noch kein Grund, dass die Marketing-Aktivitäten im B2B-Geschäft so vernachlässigt werden. Hinzu kommt, dass viele marktstrategische Themen heute am Marketingmanagement vorbeigehen. Speziell eingerichtete Stabsabteilungen, Strategieberater, Inhouse Consultants, Task Forces oder die Geschäftsführung selber haben vielfach die Federführung bei marktstrategischen Projekten übernommen. Dagegen sitzt der Vertrieb mit seiner Verantwortung für Lead-, Opportunity- und Relationship-Management fester denn je im Sattel, während sich Marketing mehr als Denkhaltung und weniger als absatzorientierte Organisationseinheit etabliert hat.
Vertiefende Literatur hier:
Genau diese Prozessorientierung fehlt in der Industrie, sogar bei hochprofitablen Firmen.
Eigentlich ist es ja unfair, dem „Closer“ des Geschäfts einen großen Bonus, einen Firmenwagen und eine tolle Position zu geben. Sales ist ja immer Teamsport. Und ohne die richtige Segmentierung und den richtigen Einstieg zum idealen Kunden könnte der Verkäufer ja auch keine Geschäfte abschließen.
Ich denke, diese Verzerrung kommt daher, daß man Umsatz sehr gut messen kann und auch Profit. Bei der Wirksamkeit des Marketings wird es da schon schwieriger. Drucker sagt, daß nur 50% wirksam sind. Aber welche 50% nur?
Der Marketingprozess ist auch nicht so eindeutig linear. Marketing kann neue Produkte und Märkte aus Kundenbedürftnissen entwickeln oder aber aus intern vorhandene Technologien.
Ich sage oft „Der beste Verkauf ist KEIN Verkauf“ oder „Marketing ist der beste Verkauf“!
In einem Gespräch mit Prof. Peter Fader (Wharton, USA) mit mir formulierte er eine beinharte Wahrheit: Vor allen Dingen wir Professoren haben versagt und was Falsches gelehrt. Customer Centricity haben wir nicht erkannt und geht gerade im BtoB dem Marketing und dem Vertrieb zu oft ab. Das technische Produkt steht zu oft noch im Mittelpunkt und Marketing UND Vertrieb werden methodisch routiniert -auch unter Mithilfe von universitären Wissen – abgearbeitet. — Wie gut, dass die Digitalisierung nun jedem eine neue Chance gibt – sogar dem Kunden.