Paradigmenwechsel in der Personalentwicklung – Teil 2

Nicht nur die Fachbereiche, sondern die Personaler selbst sehen in der Personalentwicklung die größte Schwachstelle des gesamten Personalmanagements. Im Teil 1 wurde deutlich, warum nur eine komplette Umstellung der Personalentwicklung angesichts digitaler Transformation und agiler Organisationsanforderungen alternativlos ist. Die erste entscheidende Maßnahme dazu ist der Verzicht auf die jährliche Kalibrierung der Mitarbeiter, denn die Kunst guter Führung besteht nicht darin, Mitarbeiter ständig miteinander zu vergleichen.

Standardisierte Führungsklone sind nicht gefragt

Und damit sind wir bei der zweiten entscheidenden Maßnahme: Das derzeitige Konstrukt des Talentmanagements, mit dem heute immer noch standardisierte Führungsklone als künftige Vorgesetzte produzierte werden sollen, muss abgeschafft werden. Führungskräfte müssen vom traditionellen Talentmanagement weg und hin zu einem zeitgemäßen Talent Empowerment gehen! Empowerment ist entscheidend, um Talente mit den richtigen Fähigkeiten anzuziehen, zu fördern, zu engagieren und so die digitale Transformation voranzutreiben! Denn im Kern geht es bei der digitalen Führung um Beziehungsarbeit, d.h. um wertebasierte Beziehungen, die aufgebaut, gepflegt und gegebenenfalls auch professionell beendet werden müssen. Und das bedeutet in letzter Konsequenz, dass individuelle (und keine standardisierte) Talententfaltungsformate erarbeitet werden müssen.

Mitarbeiter müssen ermächtigt und nicht als Kinder behandelt werden

Durch die Ermächtigung der Mitarbeiter (Empowerment) werden Potenziale gehoben, die in nicht-agilen Organisationen zumeist verloren wären. Digitale Talente verfügen über eine Kombination aus spezifischen Soft- und Hard-Skills, die für eine erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation entscheidend sind. Deshalb sind zumindest in klar abgegrenzten Bereichen die agile Organisation und das agile Lernen den klassischen Organisations- und Denkmustern deutlich überlegen. Der wahrscheinlich wichtigste Schritt hierbei ist, die Lernenden mit ihren individuellen Bedarfen, Vorkenntnissen, Stärken und Ressourcen vorbehaltlos in den Mittelpunkt zu stellen.

Verantwortung mehr und mehr im Kollektiv

Hinzu kommt, dass die Verantwortung in Unternehmen immer seltener bei Einzelpersonen mit zentraler Direktivgewalt liegt. Verantwortung wird zunehmend mehr kollektiv in eingesetzten Teams wahrgenommen, in denen Führungskräfte eher eine moderierende Funktion innehaben. Es geht um gemeinsame, selbstorganisierte Führung! Menschen mit Führungsverantwortung dürfen auch Lernende sein und nicht alles beherrschen müssen. Die Führungskraft im agilen Umfeld setzt sich für eine gemeinsame Vision ein, die so klar formuliert ist, dass der Einzelne seine individuellen Ziele dazu in Bezug setzen kann.

Kriterien für die Auswahl des Führungsnachwuchses

Die Auswahl der potenziellen Führungsnachwuchskräfte sollte sich daher an folgenden drei Kriterien orientieren:

  • Vielfalt statt Konformität: Gefragt sind keine „abgerundeten“ Persönlichkeiten, die keine Schwächen (aber eben auch keine Stärken) haben. Es geht um Kandidaten mit Ecken und Kanten, die eine ausgeprägte Stärke für Führungsaufgaben haben und an deren Ecken und Kanten auch einmal wirksame Vorschläge hängen bleiben.
  • Performance statt Potenzial: Potenziale sind zunächst immer nur vage Hoffnungen auf Leistungen, die der Aspirant später einmal erbringen könnte – oder auch nicht. Es geht um solche Führungsnachwuchskräfte, die Leistungen gezeigt haben und Ergebnisse gezeigt haben. Das sind zumeist solche Kandidaten, die in Ihrem Lebenslauf Ergebnisse und nicht Positionen angegeben haben.
  • Einstellungen statt Fachwissen: Fachliche Fähigkeiten sind Voraussetzungen. Wichtiger als Fachkenntnisse sind für eine potenzielle Führungskraft dessen Sensibilitäten, Werte, Verhaltensmuster, Prägungen und die innere Einstellung zur Selbstverantwortung. Hierdurch entscheidet sich, ob die Führungskraft einen substanziellen Beitrag zur Weiterentwicklung des Unternehmens liefern wird oder nicht.

Fazit: Viele Unternehmen beobachten, dass der Mangel an digitalen Talenten zu einem Verlust von Wettbewerbsvorteilen führt. Den Unternehmen ist zu raten, ihre traditionellen Leadership Praktiken in ein zeitgemäßes Talent Empowerment umzuwandeln. Dabei stehen individuelle Personalentwicklungsangebote mit entsprechenden Beziehungstrainings im Vordergrund – Trainings, bei denen das agile Lernen der zentrale Baustein einer neuen Führungskultur ist. Trainings, die besser auf die Bedürfnisse der heutigen digitalen Talente zugeschnitten sind als die traditionellen Management Praktiken.

In einem weiteren Beitrag, der in Kürze in diesem Blog erscheinen wird, zeigen die Autoren Vera Gehlen-Baum und Manuel Illi, wie agiles Lernen den angesprochenen Paradigmenwechsel nicht nur unterstützt, sondern überhaupt erst möglich macht.

3 Kommentare

  1. Lieber Herr Prof. Dr. Lippold,

    zunächst ein gesundes und erfolgreiches Neues Jahr 2020!

    Ob Personalentwicklung so bedeutsam ist, bezweifle ich. Zur Begründung erlaube ich mir anzuführen:

    1. Bewerberauswahl ist für mich wichtiger als Personalentwicklung.
    2. Personalentwicklungskonzepte berücksichtigen nicht ausreichend den Transfer in den beruflichen Alltag.
    3. Personalentwicklungskonzepte berücksichtigen weder den aktuellen Entwicklungsstand noch das Potenzial des Mitarbeiters (hier schließt sich der Kreis zu meinem Statement bez. Berwerberauswahl).

    Freundliche Grüße

    Jürgen Hall

    • Lieber Herr Hall,
      vielen Dank für Ihre drei Anmerkungen, von denen aber 2.) und 3.) im Grunde meine Thesen zum Paradigmenwechsel bestätigen.
      zu 1) Ob Bewerberauswahl wichtiger als Personalentwicklung ist eine ähnliche Frage, ob Neukunden wichtiger als Bestandskunden sind. Also „it depends on …“
      zu 2) und 3) Gerade weil die herkömmlichen Personalentwicklungskonzepte weder den Transfer in den beruflichen Alltag noch den individuellen Entwicklungsstand und das Potenzial des Mitarbeiters in ausreichendem Maße berücksichtigen, müssen individuelle Talententwicklungsformate erarbeitet werden. Erst dadurch wird Talent Empowerment möglich. Und genau das ist mit dem Paradigmenwechsel gemeint.
      Beste Grüße und alles Gute für 2020
      D.L.

  2. …hallo die Herren, insbesondere Herr Hall, bezogen auf Punkt 2 und 3 Ihres Statements…das kommt auf das durchführende Institut an. Lassen Sie uns gern plaudern und ich stelle Ihnen mal unser Vorgehen und die erzielten Ergebnisse dar. Bin gespannt auf Ihre kritische Rückmeldung…:-) Grüsse aus Berlin, Hardy Scholtyssek

    PS: Sehr geehrter Herr Prof. Lippold, bitte entschuldigen Sie, wenn ich hier so reingrätsche. Ich lese ihre Beiträge recht gern und konnte den Kommentar von Herrn Hall und teilweise auch Ihren einfach nicht unkommentiert stehenlassen…:-)

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