Als zentrales Element der Personalbeurteilung gilt die Jahresendbeurteilung (engl. Year End Review). Sie ist in vielen Unternehmen grundlegend für die Bestimmung der Höhe des variablen Gehaltsanteils und maßgebend für evtl. Vergütungserhöhungen sowie für Beförderungen im Rahmen des Grading-Systems.
Dennoch nimmt die Kritik an dieser Art des Year End Reviews mit der entsprechenden Kalibrierung der Mitarbeiter in jüngster Zeit ständig zu. So beginnen die ersten international ausgerichteten Dienstleistungsunternehmen damit, ihre Personalentwicklung komplett umzustellen und auf sämtliche Rankings ihrer Mitarbeiter künftig zu verzichten. Der Grund: Die jährlichen Gespräche seien mit viel Aufwand, aber wenig Ertrag verbunden.
Den Grundstein zur Abkehr vom Year End Review legte wohl Pierre Nanterme, CEO des IT-Dienstleisters Accenture. In einem Interview mit der Washington Post erklärte er:
„Manager müssen die richtige Person für die richtige Stelle auswählen und sie mit ausreichend Freiraum ausstatten. Die Kunst guter Führung besteht nicht darin, Angestellte ständig miteinander zu vergleichen“
Das bedeutet in der Konsequenz, dass die vielen Year End Reviews, die in aller Regel mit einer Kalibrierung der Mitarbeiter (also einem Vergleich bzw. Ranking der Kollegen einer Grade-Stufe) verbunden sind, obsolet werden. Das führt zu einer Entschlackung von liebgewonnenen, organisationsweiten Prozessen, die aus einem Vollständigkeits- und Kontrollwahn einst installiert wurden, aber einer Vertrauens- und Führungskultur, wie sie die agile Organisation vorsieht, diametral entgegenstehen.
In diesem Zusammenhang wird auch die Kritik am derzeitigen Konstrukt des Talent Management immer lauter. Statt lauter standardisierte Führungsklone als künftige Vorgesetzte zu produzieren, sollte man zu einem zeitgemäßen Talent Empowerment übergehen.
Empowerment ist entscheidend, um Talente mit den richtigen Fähigkeiten anzuziehen, zu fördern, zu engagieren und so die Digitalisierung voranzutreiben! Denn im Kern geht es bei der digitalen Transformation um Beziehungsarbeit, d.h. um wertebasierte Beziehungen, die aufgebaut, gepflegt und gegebenenfalls auch professionell beendet werden müssen. Und das bedeutet in letzter Konsequenz, dass individuelle (und keine standardisierte) Talententfaltungsformate erarbeitet werden müssen.
Durch die Ermächtigung der Mitarbeiter werden Potenziale gehoben, die in nicht-agilen Organisationen zumeist verloren wären. Das Empowerment ist quasi die Messlatte für die New Work-Führungsansätze. Digitale Talente verfügen über eine Kombination aus spezifischen Soft- und Hard-Skills, die für eine erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation entscheidend ist. Deshalb sind zumindest in klar abgegrenzten Bereichen die agile Organisation und das agile Lernen den klassischen Organisations- und Denkmustern deutlich überlegen.
Hinzu kommt, dass die Verantwortung in Unternehmen immer seltener bei Einzelpersonen mit zentraler Direktivgewalt liegt. Verantwortung wird zunehmend mehr kollektiv in eingesetzten Teams wahrgenommen, in denen Führungskräfte eher eine moderierende Funktion innehaben. Es geht um gemeinsame, selbstorganisierte Führung. Menschen mit Führungsverantwortung dürfen auch Lernende sein und müssen nicht alles beherrschen. Die Führungskraft im agilen Umfeld setzt sich für eine gemeinsame Vision ein, die so klar formuliert ist, dass der Einzelne seine individuellen Ziele dazu in Bezug setzen kann. Nur mit Kontrollen bekommt man die Komplexität der Arbeitswelt nicht mehr in den Griff. Im New-Work-Prozess müssten Führungskräfte eine neue Rolle lernen und annehmen. Sie müssen Macht weiterreichen, loslassen, stimulieren und einfach auf die Selbstverantwortung der Mitarbeiter vertrauen. Allerdings, und das ist die Erkenntnis einer neuen Studie der SRH-Hochschule Berlin:
„Empowerment ist ansteckend. Positiv, aber auch negativ: Wenn Führungskräfte aus einer höheren Hierarchieebene wenig Bedeutsamkeit, Kompetenz, Einfluss und Selbstbestimmung erleben, weil sie durch Bürokratie oder andere Umstände gegängelt werden, geben sie das an Abteilungs- und Teamleiter weiter – bis runter zu den Praktikanten,“
so Studienleiter Prof. Dr. Carsten Schermuly.
Das Thema Führungskräfteentwicklung steht seit Jahren ganz oben auf der Liste der Top-Themen des Personalmanagements. Jetzt ist es an der Zeit, Vorgehen und Inhalte grundlegend zu ändern.
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