Wenn man nach Führungseigenschaften fragt, erhält man Antworten wie Kommunikationsfähigkeit. Entscheidungsfähigkeit, Teamfähigkeit oder Überzeugungskraft. Emotionale Intelligenz wird jedoch zumeist nicht genannt. Warum ist das so?
Führung heißt,
- Orientierung geben und Ziele vorgeben sowie
- erfolgreiches Intervenieren in kritischen Situationen.
Wenn wir uns über (gute) Führung unterhalten, dann meinen wir den ersten Teil der Definition, also die Richtung vorgeben. Der zweite Teil der Begrifflichkeit, also das Eingreifen in Konfliktsituationen, wird dagegen häufig vernachlässigt. Dabei zählt Konfliktsteuerung neben Delegation und Weisung, Zielvereinbarung, Problemlösung, Information und Kontrolle sowie Anerkennung und Kritik zu den zentralen Aufgaben einer Führungskraft.
Es ist nun einmal eine wesentliche Herausforderung für jede Führungskraft, Bedingungen zu schaffen, die zur Konfliktvermeidung beitragen oder eine entsprechende Lösung herbeiführen. Und genau in diesem Zusammenhang kommt die emotionale Intelligenz ins Spiel.
„Wo immer es menschliches Leben gibt, gibt es auch Konflikt“ (Ralf Dahrendorf)
Emotionale Intelligenz ist innerhalb weniger Jahre zu einem richtigen Buzz-Wort geworden. Es handelt sich dabei um die Begabung, eigene und fremde Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen. Im Mittelpunkt der Begriffsdefinition steht also das Gefühl – und zwar sowohl das eigene Gefühl, als auch der Umgang mit den Gefühlen anderer Menschen. Es geht auf der einen Seite um Selbstmanagement und Selbsterfahrung und auf der anderen Seite um die Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen.
Lange Zeit galt der Intelligenzquotient (IQ) als die entscheidende Ursache für Erfolg. Inzwischen wird aber die emotionale Intelligenz (EQ) des Menschen als mindestens ebenso ausschlaggebend für seinen persönlichen und beruflichen Erfolg angesehen.
Mit emotionaler Intelligenz werden Fähigkeiten und Kompetenzen beschrieben, die eine wichtige Funktion in unserem Berufs- aber auch Alltagsleben einnehmen. Damit stellt sich aber die spannende Frage: Woran erkenne ich meine emotionale Intelligenz?
Als Denkanstoß zur Selbstreflexion sollten Sie sich folgende Fragen dazu stellen: Kann ich mich gut selbst einschätzen? Bin ich meinen Emotionen ausgeliefert oder kann ich mich beherrschen? Wie gut kann ich mit Aggressionen, Wut, Freude, Zuneigung und anderen Gefühlen umgehen – bei mir selbst und bei anderen? Bin ich in der Lage, anderen Menschen aufmerksam zuzuhören? Und vor allem: Bin ich in der Lage, andere Menschen zu motivieren oder gar zu begeistern?
„Gefühle sind keine Störfaktoren im Leben eines Menschen, sondern ganz wichtige, bedeutsame Vorgänge, die für ihren Lebenserfolg und ihr Glück von entscheidender Bedeutung sind.“ (Daniel Goleman)
Nach einer selbstkritischen Beantwortung dieser Fragen werden Sie wissen, wo Sie vielleicht noch Defizite haben. Wesentliche Mittel, um Ihre emotionale Intelligenz zu verstärken, sind: Selbstbeherrschung und Einsatzfreude, Beharrlichkeit und Eigenmotivation, Empathie, also die Fähigkeit, sich in den Anderen hinein zu versetzen, sowie soziale Kompetenz.
Die entscheidende Fähigkeit eines Menschen mit emotionaler Intelligenz ist also, die eigenen Gefühle und die der anderen Menschen zu erkennen, damit umzugehen und sie in ihr Tun und Handeln zu integrieren. Emotionale Intelligenz bietet Ihnen die Möglichkeit, sich in andere Menschen einzufühlen und auch die Beziehung zum anderen Menschen zu gestalten.
Kommen wir zurück zur Konfliktsteuerung: Es bedarf meist keiner großen Anstrengungen, um Fronten zwischen zwei Menschen oder innerhalb eines Teams aufzubauen. Menschen mit ihren individuell verschiedenen Ansprüchen, ihrem Denken und ihren Gefühlen geraten automatisch aneinander. Und das ist ganz natürlich, denn sie alle haben verschiedene Ansichten, über das, was richtig oder falsch ist. Ihre Einstellung ist stets subjektiv.
„Das Einzige, um was sich Menschen nicht kümmern müssen, sind Konflikte. Die entstehen von alleine“ (Peter F. Drucker)
Die Ursachen für Konflikte im Unternehmen können ebenso vielfältig sein wie ihre Gestaltungsformen. Nachteilig können Konflikte sein, wenn sie zur Instabilität führen und das Vertrauen erschüttern. Vorteilhaft sind Konflikte dann, wenn sie Energien und Kreativität freisetzen und zu gewünschten Veränderungen führen.
Neben Konflikten zwischen Personen sind in der betrieblichen Praxis vor allem Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen (insbesondere Organisationseinheiten) anzutreffen. Konflikte zwischen Organisationseinheiten entstehen häufig nach Fusionen oder Unternehmensübernahmen und können sehr lange andauern. Konfliktursache ist hier das „Aufeinanderprallen“ unterschiedlicher Unternehmenskulturen, d. h. Menschen mit unterschiedlichsten Kenntnissen, Fähigkeiten und Werthaltungen treffen aufeinander, so dass Konflikte immer wahrscheinlicher werden. Können solche Konflikte nicht bewältigt werden, führt dies zur Enttäuschung und Frustration bei den Betroffenen. Die Konfliktbewältigung nach Unternehmenszusammenschlüssen ist deshalb besonders wichtig, weil ansonsten die mit einer Fusion gewünschten Synergieeffekte zunichte gemacht werden können.
In Gruppen kommt es vor allem dann zu Konflikten, wenn die Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse nicht geklärt sind. Unkoordiniertes Handeln und auch Streit um die Verantwortung für das Scheitern, nachdem das Ziel nicht erreicht wurde, sind in solchen Fällen vorprogrammiert.
Fazit: Mit emotionaler Intelligenz können Führungskräfte die Entstehung eines Konflikts richtig einordnen. Dabei hilft ihnen die Fähigkeit, sich in die Beteiligten hineinzuversetzen und sich damit auch den Respekt gegenüber Andersdenkenden zu verschaffen. Sichtbarkeit und Haltung sind dabei wesentliche Eigenschaften. Ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte, ist das Vermeiden der eigenen Sichtbarkeit bei Zoom-Konferenzen.
Vertiefende Lektüre und Literaturhinweise:
Vielen Dank für die Zusammenfassung dieser Gedanken.
Wow, vielen Dank, dass sie Gefühle im Organisationskontex ausformulieren. Gefühle führen uns zu verletzten oder unterdrückten Bedürfnissen. Genau dort liegt der wunde Punkt, die Kunst der Konfliktlösung. Menschliche Systeme sind nichttriviale Systeme, lassen sich also nur unzureichend analysieren und sind tendenziell veränderungsresistent. Da Führungskräfte Teil des Systems sind bräuchten sie neben emotionaler Intelligenz auch die Fähigkeit des Metablicks – auch sich selbst gegenüber – und einen wirklich hohen Differenzierungsgrad. Es gibt gut analysierbare Spannungsfelder in Organisationen. Diese lassen sich mit emotionaler Intelligenz besser lenken. Echte Konflikte brauchen spätestens ab der vierten Eskalationsstufe (Glasl) professionelle Begleitung. Würde das in Organisationen erkannt, könnten aus meiner Sicht gravierende Schäden auf materieller und humaner Seite vermieden werden.
Diese Arbeit der Begleitung ist sehr herausfordernd und sinnstiftend befriedigend.
Vielen Dank, Frau Thiel. Ich freue mich, dass Sie die Bedeutung der emotionalen Intelligenz ähnlich sehen.
Lieber Prof. Dr. Lippold, sehr interessant und wichtig finde ich Ihre Ausführungen zur emotionalen Intelligenz bei Führungskräften. Die Erfahrung habe ich selbst in meiner jahrelangen Tätigkeit in Leitung und Geschäftsführung gemacht. Dabei gilt es parallel die gesunden Strukturen der Organisation zu berücksichtigen und die Ziele und Leitlinien des Unternehmens sowie die Bedarfe und Wünsche der Kunden. Die sollten den Rahmen setzen, dann kann man auf die individuellen Bedürfnisse der Einzelnen, die am Prozess beteiligt sind, eingehen und diese moderieren. Emotionale Intelligenz ist schwer zu schulen. Häufig hilft es, eigene Gefühle wahrzunehmen und sich in die Situation der MitarbeiterInnen zu versetzen, um sich angemessen zu verhalten. Wie möchte ich selbst angesprochen werden? Was fände ich selbst als angebracht und ggf auch als gerecht?
Vielen Dank für Ihre wichtigen Hinweise.