Die wertvollste Marke der Welt in diesem Jahr ist …

Amazon, wenn es nach der Marketing- und Medienzeitschrift Horizont am 22.01. geht: „Amazon bleibt im großen Markenranking das Maß aller Dinge“.

Apple, wenn es nach der Online-Ausgabe derselben Zeitschrift am 20.10. geht: „Der iPhone-Hersteller konnte seinen Spitzenplatz mit großem Abstand verteidigen.“

Amazon, wenn es nach der Online-Meldung der Marketing-Zeitschrift Absatzwirtschaft am 30.06. geht: „Amazon ist erneut die wertvollste Marke der Welt.“

Apple, wenn es nach dem Handelsblatt in der Online-Ausgabe am 20.10.20 geht:  „Der iPhone-Hersteller Apple bleibt die wertvollste Marke der Welt.“

Amazon, wenn es nach dem Online-Statistikportal Statista am 13.08. geht: „Amazon wertvoller als Apple.“

Ja, was denn nun? Amazon oder Apple? Dieses Durcheinander ließe sich beliebig fortsetzen, je nachdem, welche Zeitschrift man befragt. Hintergrund ist die Tatsache, dass sich die einschlägigen Zeitschriften und Online-Portale unterschiedlicher Ranking-Lieferanten bedienen.

Die bekanntesten Ranglisten kommen jährlichen von den drei Ranking-Agenturen Interbrand („Best Global Brands“), Brand Finance („Brand Finance Global 500“) und Millward Brown („BrandZ Top 100 Most Powerful Brands“). Da alle drei Unternehmen unterschiedliche Bewertungskriterien verwenden, veröffentlichen sie auch verschiedene Hitlisten. Doch nicht nur die Ranglisten fallen höchst unterschiedlich aus, auch der jeweilige Markenwert der einzelnen Firmen differiert beträchtlich. So sind die Markenwerte von Millward Brown durchschnittlich etwa doppelt so hoch wie die entsprechenden Werte von Brand Finance. Bemerkenswertes Beispiel: Microsoft hat bei Millward Brown einen Wert von deutlich über 300 Mrd. Dollar, bei Interbrand sind es ziemlich genau die Hälfte und Brand Finance bewertet den Windows-Entwickler lediglich mit 117 Mrd. Dollar.

Ähnlich durcheinander geht es im deutschen Ranking zu: Mal ist SAP in diesem Jahr an erster (Millward Brown), mal an dritter (Interbrand) und mal an zehnter Position (Brand Finance). Und auch der Markenwert von SAP schwankt ganz kräftig von 50,9 Mrd. über 28 Mrd. bis unter 20 Mrd. US Dollar.

Der Markenwert wird (nach alter Schule) als der „Barwert aller zukünftigen Einzahlungsüberschüsse, die der Eigentümer aus der Marke erwirtschaften kann“ beschrieben. Während früher vor allem der finanzielle Ansatz im Blickpunkt der Markenbewertung stand, ist es heute eher eine Kombination aus finanzorientierten und verhaltensorientierten bzw. psychologischen Überlegungen.

Zur Markenbewertung existieren neben den drei Bewertungsverfahren der Firmen Interbrand, Millward Brown und Brand Finance über 500 (!) weitere verschiedene Modelle. Das hat zur Folge, dass der Markenwert für ein und dasselbe Unternehmen je nach Bewertungsmodell stark variieren kann.

Welche Bewertungsverfahren und welche Werte soll man denn nun nehmen? Wenn es eine derartige Konfusion bei den Rankings gibt, ist sicherlich die Frage erlaubt, warum man den Markenwert denn überhaupt ermitteln soll.

Zwar besteht in Deutschland nach § 248 II HGB ein bilanzielles Aktivierungsverbot für originäre Marken, aber bei internationalen Rechnungslegungsvorschriften wie IFRS und US-GAAP ist eine Aktivierung der Marke Pflicht. Insofern also ein guter Grund, sich mit der Berechnung des Markenwerts zu befassen. Allerdings wird der zuständige Wirtschaftsprüfer dann nicht auf die Werte dieser Rankings zugreifen (welche auch?), sondern den Markenwert selbst berechnen. Also, Markenwert berechnen ja, Ranking-Chaos nein.

Solange man sich nicht auf ein einheitliches Bewertungsverfahren einigt, bringen uns die vielen Rankings nicht weiter. Die einzigen, die etwas von solchen Hitlisten haben, sind also die Agenturen selber. Aber auch nur dann, wenn sie Medien finden, die ihre Rankings veröffentlichen.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag.

    In einer cleveren, alten Fruchtzwerge Fernsehwerbung fragte der kleine Junge seine Geschwister „Will einer etwas Gutes aus Milch? Calcium? Vitamine?“Die Türen der Kinderzimmer seiner Geschwister verschlossen sich…“Fruchtzwerge?“… Ein cleverer Trick!
    Gleiches gilt in die Richtung der Vermarktung… Worte haben Macht und Worte sind starr…das Begriffsnetzwerk eines jeden Menschen ist lebendig. Entscheidend ist wie ich durch geschickte Kommunikation die Begriffsnetzwerke der Marktteilnehmer aktiviere… In dem von ihnen genannten Beispiel werden mächtige Worte wie Ranking und Markenwert, bewusst so dargestellt, dass die Grundannahmen der Marktteilnehmer aktiviert werden.
    Grundannahmen werden eben nicht gedacht, sondern sind Attributionen, die fest in uns verankert sind. Die Grundannahmen sind traditionelle, kulturelle und tief verankerte Annahmen, bspw. Wölfe sind gefährlich, Ärzte helfen, Richter sind redlich und ehrenhaft… Sozusagen ein Trick der Natur, der unser Hirn vor Überlastung schützt. Und ebenfalls eine Möglichkeit unser Denken und damit die Fähigkeit des Verstehens zu umgehen. In unserer Gesellschaft ist es nahezu angesehen, dieses mächtige Instrument egozentriert einzusetzen. Oft ohne Skrupel. Wirksam hilf da lediglich: selbst denken und hinterfragen wie die Kinder.

    Es ist ganz spannend wie einzelne wirklich intelligente Menschen sich immer wieder täuschen lassen.

    Die Herausforderung unserer Gesellschaft ist, dass Werte wie Wahrhaftigkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen nicht mehr ganz so ernst genommen werden.

    „Momo“ von Michael Emde beschreibt unsere Gesellschaft sehr schön.

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