Vorstandsgehälter und Unternehmenshygiene – ein Widerspruch?

Die Konzeption von Vergütungssystemen zählt zu den zentralen Herausforderungen des Personalmanagements. Sie müssen sowohl die Interessen der Mitarbeiter als auch die des Unternehmens berücksichtigen. Das ist keine neue Erkenntnis. Müssen in solche Vergütungssysteme aber auch die Gehälter der Top-Manager eingearbeitet werden? Diese Frage hat gerade in diesen Tagen wieder eine besondere Bedeutung, weil durch die Veröffentlichung der neuesten Vergütungsstruktur der DAX-Vorstände die Debatte um die Höhe der deutschen Managerbezüge im Vergleich zu den Mitarbeitergehältern erneut entflammt ist. Danach verdienen die DAX-Vorstände im Durchschnitt etwa 50 Mal mehr als ihre Mitarbeiter. Ist das mit den Hygienesystemen der Unternehmen vereinbar?

Wichtig, nein entscheidend bei solchen konzeptionellen Überlegungen ist, dass es ein Kriterium gibt, das als Grundvor­aussetzung für die Akzeptanz bei den Mitarbeitern gilt: Gerechtigkeit. Die „faire Vergütung im Vergleich zu Kollegen“ zählt zu den Top-Treibern der Mitarbeiterbindung (engl. Retention) und ist zweifellos der entscheidende Hygienefaktor aller Anreiz- und Vergütungssysteme.

Viele Mitarbeiter empfinden ihr Gehalt als gerecht. Andere Mitarbeiter dagegen stufen ihr monatliches Salär als ungerecht ein. Diese Empfindungen beruhen aber nicht auf einem Vergleich auf Basis der absoluten Gerechtigkeit, sondern auf Grundlage einer relativen Gerechtigkeit – nämlich im Vergleich zu den Kollegen, zum Branchendurchschnitt, zur Leistung, zum Alter oder auch zur individuellen Ausbildung. Wenn wir also im Zusammenhang mit Gehaltsfragen von Gerechtigkeit sprechen, dann unterstellen wir automatisch die relative Gerechtigkeit als Maßstab. Und auch nur die relative Gerechtigkeit provoziert Neid und Unbehagen. Bei der absoluten Gerechtigkeit halten wir es dagegen mit Boris Becker. Als junger Wimbledonsieger  im „Aktuellen Sportstudio“ gefragt, ob es ihn nicht nachdenklich mache, dass er mehr Geld verdiene als der Bundeskanzler, antwortete er: „Nö, der kann ja auch nicht so gut Tennis spielen wie ich“.

Und damit sind wir beim entscheidenden Punkt: In aller Regel werden die Vorstandsgehälter von den Mitarbeitern nicht der relativen, sondern der absoluten Gerechtigkeit zugeordnet. Und in diesem Fall haben die Mitarbeiter auch kein Problem mit der Gehaltshöhe ihrer Vorstände. Ebenso wie sie keine Probleme mit den exorbitant hohen Gehältern der fußballspielenden Bundeligaprofis haben.

Es ist aber immer dann eine Hygienefrage, wenn die betreffenden Vorstände mit schlechten Leistungen aufwarten. So geschehen beim Abgasskandal des VW-Konzerns, bei dem der Vorstand seiner ökologischen, sozialen und ökonomischen Verantwortung nicht nachgekommen ist. Die Rede ist von nachhaltiger Unternehmensführung (Corporate Social Responsibility).

Statt auf den (rechtlich) fälligen Bonus gänzlich zu verzichten, hat man sich beim für die Abgasmanipulationen verantwortlichen Vorstand auf einen Bonusaufschub (also auf eine spätere Auszahlung) geeinigt. Angesichts solcher Gier meldete sich sogleich auch das Hygienesystem in Gestalt des Betriebsrats mit der Forderung nach einer Lohnerhöhung von fünf Prozent (bei nahezu null Prozent Inflation) für die gesamte Belegschaft.

Ohnehin sind in Deutschland etwaige Forderungen der jeweiligen Vorstände nach mehr Gehalt ein wenig auf Sand gebaut. Denn das einzige stichhaltige Argument, das für hohe Managergehälter in Deutschland herangezogen werden könnte, ist der internationale Vergleich. Hier wird nämlich immer wieder damit argumentiert, dass die Unternehmenslenker in den angloamerikanischen Ländern z. T. deutlich mehr als ihre deutschen Kollegen verdienen. Allerdings unter ganz anderen Rahmenbedingungen. Nun muss man aber sehen, dass es unter den nichtdeutschen Fortune-500-Unternehmen meines Wissens nur ein einziger deutscher Manager (nämlich Ex-Siemens-CEO Klaus Kleinfeld) an die Spitze eines ausländischen Konzerns (Alcoa) geschafft hat(te). Unter den Unternehmenslenkern sieht der Markt nämlich deutlich anders aus als zum Beispiel im Fußballgeschäft, wo deutsche Fußballer auch im Ausland Spitzengehälter beziehen (können). Wenn also ein deutscher Spitzenmanager damit drohen sollte, bei einer schlechteren Bezahlung ins Ausland zu gehen, dann sollte er das nur tun (er findet ohnehin keinen Spitzenjob!). Mit vielleicht einer Ausnahme: SAP-Chef Bill McDermott, der mit 13,8 Millionen Euro aber ohnehin die Liste der Spitzenverdiener unter Deutschlands Vorständen anführt.

Mit anderen Worten, deutsche Spitzenmanager sind – Ausnahmen bestätigen die Regel – international nicht besonders gefragt. Und weil das so ist, liegt es einzig und allein an den Aufsichtsräten der großen deutschen Unternehmen, sich nicht erpressen zu lassen, sondern endlich Verantwortung zu übernehmen und die Gehaltsgrenzen der Vorstände nicht weiter ausufern zu lassen.

Für weitere Informationen zu Vergütungsaspekten zwischen absoluter und relativer Gerechtigkeit siehe:

D. Lippold: Die Personalmarketing-Gleichung. Einführung in das wert- und prozessorientierte Personalmanagement, 2. Auflage, München 2014, 366 Seiten, 228 Abbildungen und Inserts

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