Bindungsfaktoren, die wirklich helfen oder: der Fisch stinkt vom Kopf zuerst

Das Absenken der Fluktuationsrate zählt – mit Ausnahme einiger weniger Unternehmen, die das Up-or-out-Prinzip zum festen Bestandteil ihrer Firmenkultur gemacht haben – zu den großen Herausforderungen des Personalmanagements. Und wenn man die Führungskräfte nach der Lösung fragt, so sehen die allermeisten Personalverantwortlichen die Vergütung als die entscheidende Bindungsmaßnahme an. Aber eine solch eindimensionale Betrachtung wird den unterschiedlichen Verhaltensmotiven der Mitarbeiter nicht gerecht. Untersuchungen und die intensive Beschäftigung mit den Motiven der Generationen X und Y zeigen immer wieder, dass der entscheidende Bindungsfaktor nicht so sehr die finanziellen (also materiellen), sondern mehr die immateriellen Anreize sind. Dazu zählen die Kommunikation von Karrieremöglichkeiten, interessante Projekte, die Reputation des Arbeitgebers, ausreichende Entscheidungs- und Handlungsfreiräume, Aus- und Weiterbildungsangebote, Work-Life-Balance und vor allem die Wertschätzung und das Interesse am Mitarbeiter als Mensch. Führung bzw. die Selbstreflexion der Führungskräfte über ihr Verhalten sollte daher auch am Anfang besonders durchschlagskräftiger Bindungsmaßnahmen stehen. Denn oft wird – nicht ganz zu Unrecht – behauptet: Ein Mitarbeiter, der kündigt, verlässt nicht das Unternehmen, sondern den Chef.

Bindungsmaßnahmen im Umfeld der Personalführung

Manche Führungskräfte sehen im Mitarbeiter primär nur die bezahlte Arbeitskraft, die zu funktionieren hat und ausschließlich der Zielerreichung der Führungskraft und der Förderung der Unternehmensziele dient. Andere Führungskräfte wiederum tun sich grundsätzlich schwer, sich für „weiche Faktoren“ überhaupt zu öffnen, da ihrer Meinung nach die fachlichen Fähigkeiten an erster Stelle stehen und Emotionen in ihrem Joballtag allenfalls am Rande eine Rolle spielen. Grundsätzlich kann eine Betrachtung, die den Mitarbeiter auch als Kunden der Führungskraft sieht, eine wertvolle Hilfe sein. In einer kundenorientierten Sicht wird die Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft ebenfalls zweiseitig. Die Führungskraft nimmt bewusster wahr, dass sie nicht nur nimmt (die Arbeitskraft des Mitarbeiters), sondern dem Mitarbeiter auch gibt – und zwar viel mehr als nur Geld. Und dass der Mitarbeiter wie ein Kunde, Bedürfnisse, Erwartungen und eigene Wahlmöglichkeiten hat. Ziel dieser Sichtweise – auch in Richtung digitaler Transformation – muss es sein, die Führungskompetenz dahingehend zu entwickeln, dass mit Begeisterung und Offenheit geführt wird. Begeisterung deshalb, weil selbst begeistert sein und andere begeistern können, zwei der wichtigsten elementaren Führungseigenschaften sind. Begeisterung vor allem auch deshalb, weil die Generation Z (Geburtsjahrgänge ab 1995) in der Führung durch Begeisterung einen ganz wichtigen Schlüssel für oder gegen ein Unternehmen als Arbeitgeber sieht. Offenheit deshalb, weil in einer sich ständig ändernden Umwelt eine permanente Lern- und Veränderungsoffenheit essenziell ist. Offenheit aber auch deshalb, weil organisationale Offenheit und damit Vertrauen die Währung im digitalen Zeitalter und in der digitalen Führungskultur ist.

Bindungsmaßnahmen im Umfeld der Personalentwicklung

So beginnen die ersten Unternehmen damit, ihre Personalentwicklung komplett umzustellen und auf sämtliche Rankings ihrer Mitarbeiter zu verzichten. Der Grund: Die jährlichen Gespräche sind mit viel Aufwand, aber wenig Ertrag verbunden. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die vielen Year-End-Reviews, die in aller Regel mit einer Kalibrierung der Mitarbeiter (also einem Vergleich bzw. Ranking der Kollegen einer Grade-Stufe) verbunden sind, obsolet werden. Das führt zu einer Entschlackung von liebgewonnenen, organisationsweiten Prozessen, die aus einem Vollständigkeits- und Kontrollwahn einst installiert wurden, aber einer Vertrauens- und Führungskultur diametral entgegenstehen. Das kommt einem Paradigmenwechsel in der Personalentwicklung gleich. Die digitale Transformation ist also ein Leadership- und ein Kultur-Thema. Jede Arbeitskultur braucht ihren eigenen Zugang zu den jeweils passenden Kommunikationstechnologien. Jede Kultur tickt anders, verarbeitet ihre Informations- und Kommunikationsflüsse unterschiedlich. Hier besteht zum Teil ein erheblicher Handlungsbedarf, denn Kultur wird nicht verordnet, sondern muss (vor-)gelebt werden. Letztlich geht es um die Frage, wie es Führungskräfte schaffen können, die menschliche Lebendigkeit und Intelligenz zu aktivieren und zu erhalten, so dass nicht das Regime der Prozesse, Strukturen und Technologien die Kreativität der menschlichen Natur erstickt.

Ebenso obsolet ist das falsche Konstrukt des Talentmanagements, mit dem heute immer noch standardisierte Führungsklone als künftige Vorgesetzte produziert werden sollen. Den Unternehmen ist im Hinblick auf die digitale Transformation vielmehr zu raten, Führungskräfte hinsichtlich der Eignung für den virtuellen Kontext auszuwählen bzw. entsprechende Personalentwicklungsangebote (Beziehungstraining) anzubieten. Denn im Kern geht es bei der digitalen Führung um Beziehungsarbeit, d.h. um wertebasierte Beziehungen, die aufgebaut, gepflegt und gegebenenfalls auch professionell beendet werden müssen. Allerdings wird das Konzept der Führungskräfteauswahl nur dann funktionieren, wenn ausreichend kompetente Führungskräfte zur Verfügung stehen. Da dies aber in aller Regel nicht der Fall ist, müssen individuelle Talententfaltungsformate erarbeitet werden, um die gewünschten Kompetenzen in soziologisch fassbaren Konfliktsituationen unter Managementanforderungen mit entsprechender Selbstreflexion zu entwickeln.

Es mag banal klingen, aber als Führungskraft ist es wichtig, dass man sowohl in der virtuellen als auch in der analogen Welt als ein menschliches Wesen wahrgenommen wird, mit dem die Mitarbeiter bestimmte Werte teilen können. Am Ende sind es die Menschen mit Persönlichkeit, die Präsenz zeigen und eine Identität sichtbar machen, die offline und online zur Kenntnis genommen werden kann. Auf die aktive Gestaltung solcher Identitäten muss digitale Führung viel Wert legen.

Ein besonderes Augenmerk müssen Unternehmen auf die Karriereplanung ihrer Führungsnachwuchskräfte legen. Hierbei geht es darum, die persönlichen und beruflichen Ziele der Potenzialträger mit den Interessen des Unternehmens in Einklang zu bringen. Diese Facette der Personalentwicklung zielt somit auf die Mitarbeiterförderung und -bindung ab. Mit dem Begriff Karriere wird in erster Linie die Führungslaufbahn assoziiert. Der Aufstieg im Rahmen einer Führungskarriere bedeutet in der Regel einen Zuwachs an Kompetenz, Status, Macht und Vergütung in Verbindung mit den einzelnen Karriereschritten. In der Unternehmenspraxis gewinnt zunehmend aber auch die Fachkarriere an Bedeutung. Aus Unternehmenssicht liegt hierbei der Fokus auf der Förderung und Bindung von Spezialisten.

Dem Feedback-Gespräch zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten, das sich grundsätzlich an eine Beurteilung anschließen sollte, kommt im Rahmen der Mitarbeiterbindung eine erhebliche Bedeutung zu. Das faire Beurteilungsgespräch kann bei richtiger Handhabung ein wesentliches Instrument in­nerhalb des Führungsprozesses darstellen und in erheblichem Maße zur Motivation der Mitarbeiter beitragen. Soll ein Beurteilungsgespräch die daran gestellten Erwartungen er­füllen, so ist neben einer gründlichen Vorbereitung (z.B. anhand einer Checkliste) eine kon­struktive, offene und zielorientierte Gesprächsführung unabdingbar. Bei der Gesprächsführung hat es sich als vorteilhaft erwiesen, gewisse Ablaufstrukturen vorzusehen.

Genderspezifische Bindungsmaßnahmen

Viele Unternehmen binden die Arbeitszeit an die physische Anwesenheit im Unternehmen. Das ist gerade für Mitarbeiter besonders anstrengend, die lange Fahrtwege haben oder aus familiären Gründen kaum in der Lage sind, die Kernarbeitszeiten einzuhalten. Indem Unternehmen Home Office oder auch flexiblere Arbeitszeiten anbieten, kommen sie ihren Mitarbeitern entgegen. Darüber hinaus punkten Unternehmen mit der Einrichtung eines Betriebskindergartens oder dem Angebot an besonderen Arbeitszeitmodellen, um Arbeit und Familie besser miteinander zu verbinden. Insbesondere Frauen müssen aus familiären Gründen häufiger Abstriche in Bezug auf den eigenen Beruf und die eigene Karriere machen als Männer. Besonders die High Potentials unter den weiblichen Arbeitnehmern werden immer wichtiger und damit begehrter für die Unternehmen. Um Frauen zu binden und besser zu integrieren, sollten Unternehmen neben einer familienfreundlichen Gestaltung der Arbeitszeiten gezielt auf die Förderung der Karriere von weiblichen Arbeitnehmern achten. Besonders interessant ist die Erfahrung, dass Personalentwicklungsmaßnahmen, die gezielt auf Frauen und ihre vielfältigen Lebensmuster zugeschnitten sind, sich in aller Regel auch optimal für Männer erweisen. Das Personalentwicklungsmanagement darf und soll sich sogar an den Frauen orientieren, wenn sie für beide Geschlechter Gültigkeit haben sollen. Überhaupt kann durch geschlechtergemischte Fortbildungen die Zusammenarbeit von Frauen und Männern gefördert werden. Weibliche und männliche Teilnehmer können so voneinander lernen. Die Unterschiede in den Verhaltens- und Denkweisen können während einer Maßnahme thematisiert und einander näher gebracht werden. Es geht aber nicht nur darum, auf welche Personalentwicklungsmaßnahmen Frauen am besten ansprechen. Vielmehr sollten die Rahmenbedingungen so angepasst werden, dass mehr Frauen die Teilnahme an solchen Maßnahmen ermöglicht wird. So werden Weiterbildungen häufig nicht für Teilzeitstellen angeboten, obwohl gerade diese vielfach von Frauen besetzt sind. Fortbildungen, die weit entfernt vom Arbeitsplatz oder Wohnort durchgeführt werden oder gar eine Übernachtung erfordern, sind zumeist Ausschlusskriterien für berufstätige Mütter.

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1 Kommentar

  1. Ein hochinteressanter Brückenschlag zwischen den neuen Technologien und den personal Skills der Führungskräfte. Nach meiner Auffassung die letztlich entscheidende Schnittstelle für alle neuen Verfahren.
    Großartiger Artikel, vielen Dank!

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