Unternehmenszusammenschlüsse in der Prüfungs- und Beratungsbranche: David schlägt oftmals Goliath

Kaum eine Branche ist von Unternehmenszusammenschlüssen und -fusionen, von Unter­nehmenskäufen und -verkäufen so geprägt wie die IT- und Beratungsbranche. Getoppt werden die IT-Dienstleister nur noch von den Wirtschaftsprüfern. Allerdings werden die Erwartungen, die in solche Zusammenführungen gesetzt werden, nur in wenigen Fällen erfüllt. „Misserfolgsfaktor“ der Unternehmensverschmelzungen sind regelmäßig die unterschiedlichen Unternehmenskulturen, die hier aufein­ander­prallen. Das ist bekannt. Kaum beachtet ist aber das Phänomen, dass sich bei solchen Zusammenschlüssen am Ende des Tages vielfach das kleinere der beiden fusio­nierenden Unternehmen und damit ausgerechnet die Kultur des vermeintlich schwä­cheren Partners durchsetzt. Wie ist diese Entwicklung, die nicht unbedingt im Sinne der agieren­den Shareholder sein muss, zu erklären?

Jedes Unternehmen verfügt über eine Unternehmenskultur. Diese wird nicht einfach erfunden oder verordnet, sondern (vor)gelebt. In der IT- und Beratungsbranche liegen die Ursprünge einer Unternehmenskultur häufig beim Unternehmensgründer (z. B. Thomas Watson bei IBM, Steve Jobs bei Apple, Serge Kampf bei Capgemini, Friedrich A. Meyer bei ADV/ORGA, Roland Berger). Solche Unternehmensgründer dienen dann mit ihren Visionen und Ideen, mit ihren Wertvorstellungen, Eigenarten und Neigungen als Vorbilder für nachfolgende Managergenerationen. Kulturprägend wirken neben solch zumeist sehr charismatischen Personen aber auch Krisen und einschneidende Veränderungen sowie die Art und Weise, wie diese gemeistert werden. Auch neue Geschäftsmodelle, besondere Entwicklungen der Branche und das (regionale) Umfeld eines Unternehmens, die Art der Kunden oder der Investoren können Einfluss auf die jeweilige Unternehmenskultur haben.

Besonders für international ausgerichtete Beratungsunternehmen kann die Unternehmenskultur einen wichtigen Integrationsfaktor darstellen. Eine Kultur mit starken, positiven Ausprägungen wird nicht nur von neuen Mitarbeitern, sondern auch von ganzen Unternehmen, die durch Zukauf neu in den Verbund eintreten, leichter an- und übernommen werden. Die Unternehmenskultur ist dann so etwas wie der Kitt zwischen den organisatorischen Fugen. Bei Unternehmenszusammenschlüssen ist die behutsame Integration verschiedener Unternehmenskulturen ein entscheidender, allerdings häufig unterschätzter Erfolgsfaktor. Nicht selten ist das Scheitern einer Unternehmenszusammenlegung darauf zurückzuführen, dass es offensichtlich nicht gelungen ist, verschiedene Unternehmenskulturen harmonisch miteinander zu ver­schmelzen. Jedenfalls lässt sich diese Vermutung aus der Analyse gescheiterter Mergers & Acquisitions (M&A)-Prozesse ableiten. Vielfach sind es nicht ökonomische Defizite, sondern die mangelhafte Berücksichtigung weicher Faktoren, die zu Integrationsproblemen führen. Diese Problematik stellt sich aber nicht nur bei internationalen, sondern auch bei nationalen M&A-Projekten, da auch Unternehmen aus demselben Kulturkreis durchaus unterschiedliche „Binnenkulturen“ aufweisen können.

Teilweise sehr differenzierte Erfahrungen mit Unternehmensfusionen, bei denen unterschiedlich starke Unternehmenskulturen aufeinanderprallen, haben folgende Firmen gemacht:

  • Price Waterhouse beim Zusammenschluss mit Coopers & Lybrand,
  • IBM Global Services bei der Übernahme von PwC Consulting,
  • Ernst & Young beim Zusammenschluss mit Arthur Andersen in Deutschland,
  • Capgemini bei der Übernahme von Ernst & Young Consulting oder auch
  • Deloitte bei der missglückten Fusion mit Roland Berger

Interessanterweise ist den meisten dieser Unternehmenszusammenschlüsse gemeinsam, dass letzten Endes jeweils der kleinere Fusionspartner bzw. das übernommene Unternehmen kulturprägend war und damit – wenn man so will – die Oberhand behielt. Man kann daher in diesen Fällen auch von einem Reverse-Takeover sprechen. Eine Einzelanalyse der genannten Zusammenschlüsse zeigt die Ähnlichkeiten und Mechanismen dieser kulturellen Phänomene auf (siehe dazu auch Lippold: Die Unternehmensberatung. Von der strategischen Konzeption zur praktischen Umsetzung, 2. Aufl., Springer Gabler).

Zwei Thesen sollen hier angeführt werden, die ganz offensichtlich die Besonderheiten bei Dienstleistungszusammenschlüssen erklären:

  1. Da die Produktbindung und -identifikation in aller Regel größer ist als die Unternehmensbindung und -identifikation, gestalten sich Merger im Dienstleistungsbereich deutlich schwerer als bei Unternehmen, die Produkte herstellen und anbieten. So ist es auch kein Wunder, dass nach einem Dienstleistungsmerger ganze Mannschaften wegbrechen bzw. die neue Firma nach einer kurzen Beobachtungszeit verlassen. Somit kommen die gewünschten Synergieeffekte nicht zustande und der Shareholder Value verringert sich deutlich.
  2. Bei Unternehmenszusammenschlüssen, die zunächst als „Merger-unter-Gleichen“ angekündigt werden, setzt sich – unabhängig von der jeweiligen Unternehmensgröße – letztendlich das Unternehmen mit der stärkeren Unternehmenskultur durch. Das bedeutet, dass sich jedes Unternehmen, das organisch gewachsen ist, solchen Organisationen deutlich überlegen zeigt, die durch Zukäufe oder andere Merger groß geworden sind. Dieses Phänomen liegt wohl darin begründet, dass sich bei gewachsenen Strukturen deutlich besser Netzwerke und dergleichen aufbauen und leben lassen. Dabei muss eine derartig starke Kultur keinesfalls als harmonisch gelten. Es kann sich sogar um eine „Streitkultur“ handeln. Wichtig ist vielmehr, dass eine organisch gewachsene Kultur wie ein homogener, monolithischer Block agiert, der in einem widrigen Umfeld immer besser aufgestellt ist als die heterogenen Kulturen zusammengekaufter Unternehmenseinheiten. Und das ist selbst dann der Fall, wenn das fusionierende Unternehmen mit der gewachsenen Kultur deutlich kleiner ist.

Aber alle beteiligten oder betroffenen Manager im Beratungsumfeld können sich bestimmt selber ein Bild oder einen Reim daraus machen, wie es um ihren persönlich erlebten Merger bestellt war bzw. ist, wer die stärkere Kultur einbrachte und wer schließlich die Oberhand behielt …

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