Ist das zweistufige System berufsqualifizierender Studienabschlüsse schon gescheitert? Deutsche Unternehmen sind unzufrieden mit dem Bachelor. Unser Gastautor beleuchtet, wer die Verlierer und Leidtragenden und wer die Gewinner der Reform sind.
Die Verlierer:
Da sind zunächst einmal die Unternehmen. Sie haben anfangs besonders laut geschrien, weil ihnen sehr daran lag, dass die Hochschulabsolventen jünger werden. Deshalb war eines der Ziele der Bologna-Reform, die Studienzeit zu verkürzen und die Studierenden schneller fit zu machen für den Arbeitsmarkt. Heute beklagen die Unternehmen die fehlenden Fähigkeiten der Bachelor-Absolventen. Selbst DIHK-Präsident Eric Schweitzer gibt zu, dass Bachelor-Absolventen nach zwölf Jahren Schule und dem Wegfall der Bundeswehrzeit zu jung seien. Das Ergebnis: Die Personalabteilungen stellen ihre Rekrutierungspolitik auf Master um, was kontraproduktiv zur ursprünglichen Intention der Reform ist. Doch eigentlich sind die Unternehmen keine Verlierer. Warum? Dazu später mehr.
Hauptleidtragende sind die Bachelor-Studierenden. Sie sollen ins Ausland gehen, finden dafür im Lehrplan aber keinen Platz. Sie sollen Persönlichkeiten werden statt nur Absolventen sein. Sie müssen durch Anwesenheit in den Seminarräumen glänzen, auch wenn das Thema nicht interessiert. In einigen Studiengängen ist der Bachelor gänzlich wertlos: Lehramtsstudierende brauchen den Master für das anschließende Referendariat. Besonders hart trifft es den fertigen Bachelor. Er ist zunehmend gezwungen, den Master draufzusatteln, um wettbewerbsfähig zu sein.
Zu den Verlierern zählt schließlich – zumindest in Teilen – die Gesellschaft. Innerhalb von nur sechs Jahren ist der Anteil der Studienanfänger in Deutschland von 36 auf 58 Prozent gestiegen. Warum das ein Nachteil für die Gesellschaft ist, erklärt DIHK-Präsident Schweitzer: „Der Boom bei den Studentenzahlen geht zulasten der dualen Berufsausbildung. Wir leiden an einer Überakademisierung.“
Die Gewinner:
Die Bologna-Gewinner sind schnell genannt: Das sind die international ausgerichteten Studierenden, denen Bologna den Weg ins Ausland deutlich erleichtert hat. Positiv betroffen sind auch die ausländischen Studierenden in Deutschland, deren Zahl inzwischen auf über 300.000 angestiegen ist. Zu den Gewinnern zählen weiterhin die privaten Bildungsinstitute, deren Marktanteil auf sechs Prozent gestiegen ist. Größte Reform-Gewinner sind schließlich die Akkreditierungsagenturen, die als außeruniversitäre Instanzen der zweifelhaften Aufgabe nachgehen, einem möglichen Niveauverlust durch entsprechende Akkreditierungen vorzubeugen.
Und was ist mit den Personalchefs und ihren Mitarbeitern? Gehören sie zu den Gewinnern oder zu den Verlierern? Das ist eigentlich nicht die Frage. Aus meiner Sicht sind sie nicht ganz unbeteiligt daran, dass Bologna in Deutschland bislang nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hat. Warum? Als die beiden neuen Bezeichnungen (Bachelor und Master) auf den Markt kamen, war für sie nur eines wichtig: Was ist der bessere Abschluss? Es sprach sich schnell herum, dass man anstatt eines jungen Bachelors auch – ohne große Mehrkosten – einen erfahrenen Master bekommen konnte. Man brauchte nur ein „Upgrade“ der Stellen- und Anforderungsprofile in den Online-Jobbörsen vorzunehmen. Das wäre alles ohne große Wirkung geblieben, wenn nur einige wenige Personalreferenten so vorgegangen wären. Es war aber die überwältigende Mehrheit alle Recruiter, die auf die neue Einstellungspolitik umgeschwenkt sind. Leider mit Erfolg. So kam es, dass heute mehr als die Hälfte der Bachelor-Absolventen einen Master machen möchten, nein: machen müssen.
Fazit:
Den Stab über die Bologna-Reform zu brechen, wäre falsch. Angesagt ist vielmehr eine Reform der mehr als 15 Jahre alten Reform, in der man die beiden Ziele, also den europäischen Hochschulraum und den frühen Berufseinstieg nochmals auf den Prüfstand stellt. Schließlich kann die Bologna-Reform nichts dafür, dass die Personalabteilungen keinen Bachelor mehr wollen, wenn sie dafür einen Master bekommen. Aber das ist wohl eher ein Kommunikationsproblem.
Der Gastautor:
Prof. Dr. Dirk Lippold ist Gastprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er lehrt u.a. Consulting & Change Management, Marketing & Kommunikation und Personal & Organisation. Als ehemaliger Deutschland-Geschäftsführer einer internationalen Unternehmensberatung war er verantwortlich für Marketing und Personal.
Der Beitrag ist erschienen in: HRler – Fakten, Trends und Menschen aus dem Personalwesen, Ausgabe 2016/2017
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